Was ist Yoga?
Das Wort Yoga stammt aus dem indischen Sanskrit und bedeutet so viel wie „Verbindung“ oder „Einheit“. Es ist ein Wort, das zugleich Weg und Ziel beschreibt.
Als Ziel bezeichnet Yoga jenen Bewusstseinszustand, in dem man bei sich selbst angekommen ist. Dieser Zustand besitzt viele Namen: Befreiung, Nirvana, Himmelreich, Selbstverwirklichung, Friede, Stille und Erleuchtung, um nur einige zu nennen. Das Ziel ist somit das Wiedererlangen jener inneren Freiheit, die eigentlich nie verloren gegangen ist, sondern nur vergessen wurde. Das Erinnern an die wahre Natur kann, wie Patanjali es beschreibt, in der meditativen Gipfelerfahrung samadhi geschehen.
Yoga als Weg steht für die vielfältigen Methoden, die zu diesem Ziel führen. Dieser Weg stellt das Abstreifen all dessen dar, was nicht der wahren Natur des Seins entspricht. Alle mentalen Muster, die ein Hindernis für das Erkennen der wahren Natur darstellen, werden zu Ruhe gebracht. Der Weg führt jenseits allen Leidens bis hin zur Glückseligkeit. Yoga ist somit ein Wachstumsprozess. Er ist das Erklimmen des höchsten Berges – das Selbst.
„Es ist ein Weg der Selbstentwicklung, der uns loslöst von der irrtümlichen und leidhaften Verstrickung in die Welt, deren Erleben vor allem von unseren Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühlen bestimmt ist. Am Ende des Weges steht die Befreiung von dieser großen Täuschung. Dies ist ein Seinszustand, der über alle Worte hinausgeht.“ – Ralph Skuban
Die essentiellen Teile vom Übungsweg zeigen sich im achtgliedrigen Pfad des Yoga von Patanjali ersichtlich. Wobei dieser Pfad nicht als streng nacheinander ablaufender Prozess zu betrachten ist. Vielmehr ist es ein ständiges Arbeiten an allen Teilen gleichzeitig.
1. Yama: Fünf Regeln für das Verhalten im persönlichen Umfeld
- Ahimsa (Nicht-Schaden)
Ahimsa bedeutet sich selbst und andere nicht mit Worten, Taten oder in Gedanken zu verletzen. Auf diesem yama begründet sich der gesamte Weg des Yoga.
„Seid gut zu den Menschen, zu den Pflanzen und zu den Tieren!“ – Laotse
- Satya (Aufrichtigkeit)
Ein Leben in satya bedeutet ehrlich, aufrichtig, echt, authentisch und wahrhaftig sich selbst und anderen gegenüber zu sein. Zu sagen, was man denkt und zu tun, was man sagt – sein, wer man ist.
- Asteya (Nicht-Stehlen)
Asteya besagt einerseits natürlich, dass Diebstahl falsch ist, andererseits aber auch, dass Neid und Missgunst genauso wenig richtig sind. Ein Leben in asteya ist ein Leben in Bewusstsein, dass letztlich nichts besitzt werden kann und alles losgelassen werden muss.
- Brahmacarya (Leben im Bewusstsein um die Quelle, aus der wir kommen)
Übersetzt bedeutet brahmacarya „der Weg zu Brahma“. Wobei brahma so viel bedeutet wie „größer als das Größte“ und die absolute Wirklichkeit meint. Brahmacarya ist eine Lebensweise, die dem Ziel vom Yoga dient.
- Aparigraha (Nicht-Greifen)
Oft greift man gern zu, versucht alles festzuhalten und will immer mehr davon. Aparigraha und asteya gehen eng miteinander einher. Denn was man selbst greift, kann ein anderer nicht haben. Das Festhalten am scheinbar notwendigen Besitz macht das Erkennen der eigenen Ganzheit und Vollkommenheit unmöglich.
2. Niyama: Fünf Regeln für den Umgang mit sich selbst
- Shaucha (Reinheit innen und außen)
Für die äußerliche Reinheit des Körpers wird lediglich Wasser und Seife benötigt. Die innere Reinheit meint zum Einen die Ernährung. Dabei ist wiederum ahimsa zu beachten, was heute in einer Zeit von Massentierhaltung, Transport und Schlachtung noch viel mehr gilt als früher. Zudem begünstigt die Fleischindustrie aufgrund des hohen Wasserverbrauches auch Wasserarmut in vielen Ländern, wobei wiederum das Erreichen der äußerlichen Reinheit zu bedenken ist. Zum Anderen beinhaltet die innere Reinheit shatkarmas (Techniken für mechanische Reinigung). Insgesamt gibt es sechs shatkarmas: Reinigung der Nasenwege (neti), Techniken für oberen und unteren Verdauungstrakt (dhauti, basti), Massage der abdominalen Organe (nauli), Reinigung der Augen und Tränenkanäle (trataka) und Atemtechnik zur Reinigung der Frontalregion des Gehirns (kapalbhati).
- Santosha (Kultivierung einer Haltung der Zufriedenheit)
Santosha beschreibt die bedingungslose Zufriedenheit, unabhängig von erfüllten oder nicht erfüllten Wünschen. Santosha ist eine innere Zufriedenheit – der ausgeglichene Normalzustand, der immer schon da war.
- Tapas (reinigende und stärkende Übungen)
Tapas kommt von „tap“ und bedeutet übersetzt „erhitzen“. Damit gemeint ist einerseits das konkrete Üben von asanas (Körperhaltungen), andererseits beschreibt tapas die Überwindung, die oft mit der Asanapraxis einhergeht, aber auch der Verzicht auf gewisse Nahrungsmittel oder Alkohol. Im übertragenen Sinne meint tapas auch das Tolerieren von schmerzhaften Erfahrungen und den Wachstum an ihnen.
- Svadhyaya (Studium und Selbsterforschung)
Svadhyaya ist heilsame Nahrung für den Geist. Das regelmäßige Lesen spiritueller Weltliteratur kann inspirierend und motivierend sein und fundiert die Übungspraxis philosophisch. Es ist eine Anregung zur Meditation und Kontemplation, da es unter anderem Fragen zur Existenz und dem Sinn des Lebens aufkommen lässt.
- Ishvarah-pranidhana (Hingabe an die Quelle, aus der wir kommen)
Ishvarah-pranidhana meint eine konkrete Praxis, die die Entwicklung von dieser Hingabe fördert. Das kann unter anderem das Sprechen eines Mantras oder Gebetes, das Durchführen von Ritualen oder auch Karma Yoga (konkretes Tun für andere, ohne eine Gegenleistung zu erwarten) sein.
3. Asana: Meditationshaltung
„Die Meditationshaltung sollte stabil und angenehm sein.“ – Patanjali
Um zu einer solchen Meditationshaltung zu gelangen, ist das regelmäßige Üben von asanas essentiell. Die verschiedenen Haltungen bereiten den Körper vor, um möglichst lange und bequem in Meditation verweilen zu können.
„Das Weiche und Biegsame sind die Begleiter des Lebens, während das Steife und Unbewegliche die Begleiter des Todes sind.“ – Tao Te King
4. Pranayama: Atmung
Pranayama setzt sich zusammen aus „prana“, was für die Atmung und Lebensenergie steht, und „ayama“, was so viele bedeutet wie „kontrollieren“ oder „beherrschen“. Es beschreibt also die kontrollierte Lenkung des Atems – der kosmischen Lebensenergie. Dieser Teil stellt eine essentielle Praxis dar, da die Luft der wichtigste Träger von prana ist.
5. Pratyahara: Rückzug der Sinne
Pratyahara stellt den Übergang vom Außen ins Innen dar. Denn so wie sich das Bewusstsein nach innen wendet, folgen ihm auch die Sinne. Diese Loslösung der Sinne von äußeren Objekten gilt als Bedingung für die Meditation.
6. Dharana: Konzentration
Dharana versteht die Konzentration auf ein konkretes oder abstraktes Objekt. Das kann beispielsweise die Flamme einer Kerze, eine weiße Wand, eine Visualisierung, ein religiöses Symbol, eine Farbe, ein Gebet, eine körperliche Wahrnehmung, der Atemfluss, der Klang eines Mantras, der Rhythmus der Trommel oder ein bestimmter Punkt am Körper sein. Das Bewusstsein wird dann voll und ganz auf das gewählte Objekt gerichtet.
7. Dhyana: Meditation
Während dharana kann dhyana erfahren werden. Die Meditation kann also nicht erzwungen werden. Sie geschieht während der Konzentration, wobei es hier keine festzulegende Grenze gibt. Dharana, dhyana und letztendlich auch samadhi fließen ineinander. Deshalb werden sie auch gemeinsam als samyama zusammengefasst.
8. Samadhi:
Samadhi, die höchste Stufe des Yoga, beschreibt das Ruhen als pures Bewusstsein. Der Beobachter ruht in sich selbst. Es ist das Eintauchen in die wahre, form- und zeitlose Essenz des Seins. Das Ziel des Yoga ist in samadhi erreicht.
„Samyama beginnt mit subjektivem und objektivem Gewahrsein. Dies ist ein zweifaches Gewahrsein. Du bist dir des Meditationsobjektes im Inneren ebenso bewusst wie der äußeren Welt, doch nach und nach schließen sich die Außentüren, und du siehst nur noch die Sache in deinem Inneren. Dies ist Dhyana. Dann wird das, was du im Inneren siehst, immer klarer, und gleichzeitig verlierst du das Gewahrsein deiner selbst. Das wird Samadhi genannt.“ – Satyananda Saraswati